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100 Tage neue Verkehrspolitik – Gibt es sie noch?

100 Tage hat es gedauert, bis die neue Regierung angelobt werden konnte. 100 Tage danach gibt es die neue Verkehrsministerin – noch.

Redaktion: Peter Baumgartner.

Lässt man das Wirken der zahlreichen Verkehrsminister in Österreich Revue passieren, kann man auf den ersten Blick erkennen, wo ihre jeweiligen Schwerpunkte in den politischen Entscheidungen lagen. Mit Verkehrspolitik hatten diese Entscheidungen jedoch immer nur am Rande zu tun. In erster Linie war es Parteistrategie, Erfüllung von Lobbyisten Wünschen oder gar persönliche Vorlieben.

Besonders deutlich wurde das bei Norbert Hofer/FPÖ (Dez.17 – Mai 19), der sein Flieger-Hobby als Verkehrsminister flugs zur Agenda erhob. Oder nehmen wir Alois Stöger (Sept. 14 – Mai 16), dessen Bild wahrscheinlich in jedem Büro der Frächterlobby einen prominenten Platz einnimmt. Ein Wunder, dass nicht auf jedem LKW ein Herzerl mit „I like Alois“ klebt. Gerald Klug (Jänner 16. – Mai 16) war als „abkommandierter“ Verteidigungsminister hauptsächlich mit seiner eigenen Verteidigung beschäftigt. Seine sprichwörtliche „Situationselastizität“ kam ihm dabei allerdings im Verkehrsressort sehr zugute. Werner Faymann (Jänner 07 – Dez. 08) profitierte lange vom Schutzhelm, den ihm die Baulobby gewidmet hatte und der mit dem Wohlwollen maßgeblicher Medien, hauptsächlich seine eigenen Verkehrswege ebnen konnte. „Alles auf Schiene“ verstanden gleich mehrere, vornehmlich SPÖ Verkehrsminister, als Auftrag. Sie sahen lange Zeit genau im ÖBB-Konzern ihre Wähler und mächtige Betriebsrats-Kaiser, deren Wünsche tunlichst zu erfüllen waren.

Schwer hatte es der Landwirt Mathias Reichold/FPÖ (Febr. 02 – Febr. O3). Bei seinen vielen rasch wechselnden Tätigkeiten („Ich stehe hier, weil Jörg Haider so entschieden hat“), hinterließ er oft den Eindruck, dass er mit der falschen Aktentasche in das falsche Büro gekommen ist. Als Bauer hatte er im Verkehrsressort wahrscheinlich hauptsächlich das landwirtschaftliche Wegenetz im Sinn.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Verkehrsministerium für viele Minister ohnehin nur eine kurzzeitige Aufgabe war. Manche schafften weniger als ein Jahr und mehr als eine Wahlperiode war schon die Ausnahme. Deshalb widerspiegelt der Inhalt eines Leserbriefes („Im Verkehr kennt sich die Klofrau im Ministerium besser aus, als der Minister“) so ziemlich die Realität im Haus am Donaukanal.

Irgendwann kommt vielleicht doch noch ein Verkehrsminister in die Regierung, der gerne segelt oder rudert. Dann steigen wahrscheinlich die Chancen auf eine Verkehrspolitik unter Einbindung der Wasserstraße.

Jetzt ist erstmals eine grüne Verkehrsministerin am Werk. Erraten, auch bei ihr merkt man schon nach den ersten 100 Tagen, was sie unter Verkehrspolitik versteht – Radverkehr.

An dieser Stelle ist natürlich ein abschließendes Urteil verfrüht, weil sie ja selbst für einen Verkehrsminister noch zu kurz im Amt ist.  Außerdem hat sie mit dem neuen Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) ein Aufgabenspektrum übernommen, dass mehr nach Eintopf, als nach Ressort für Verkehr klingt.
Natürlich hängen alle Themen irgendwo zusammen und die kleinen Räder müssen ineinandergreifen, damit das Werkl läuft. Aber zu Ende gedacht, hätte man der Ministerin auch gleich alle anderen – oder zumindest auch die Sozial- und Arbeitsbereiche – umhängen können, denn die haben auch viel mit Verkehrspolitik zu tun.

Stichwort LKW-Fahrer. Bei denen (nicht bei den Binnenschiffern) hat sich die Ministerin in der Corona Krise ausdrücklich für ihre Leistungen bedankt. 100 Tage vorher, als Global2000 Chefin, hätte sie die LKW-Fahrer wohl lieber auf den Mond geschossen. So schnell kann`s gehen. Zumindest das Arbeitsinspektorat könnte man der neuen Ministerin noch umhängen, damit sie die Möglichkeit bekommt, die derzeit vorhandenen 0,5 Mannjahre für den Bereich Verkehrsarbeitsinspektion zu unterstützen. Der Sektor Verkehr zeigt in Österreich und in Europa, dass sich der Markt eben nicht selber regelt. Im Gegenteil. Deshalb braucht es eine europäische Verkehrspolitik mit klaren Zielen und Fristen.

Entscheidende Indikatoren für eine verbesserte Verkehrspolitik aus der Sicht der Binnenschifffahrt und im Interesse der Umwelt, wäre eine deutliche Zunahme der Transporte auf der Wasserstraße und eine entsprechende Steigerung im Modal Split zugunsten der Binnenschifffahrt. Diese Ziele liegen trotz schöner Reden weiterhin – seit Jahrzehnten – in weiter Ferne und scheinen unerreichbar zu sein. Jedenfalls sicher nicht im vorgesehenen Zeitplan (bis 2022), den das derzeit aktuelle Aktionsprogramm vorsieht. 7,2 Mio. Tonnen wurden 2018 in Österreich auf der Wasserstraße insgesamt transportiert. Was ein durchschnittliches Minus von 27 Prozent (zugunsten der Straße) bedeutet.Zwar unter widrigen Pegelverhältnissen, aber bei einer 100 %igen Verfügbarkeit der Wasserstraße. 2019 lief es mit einer Zunahme von 18 % wieder etwas besser, war aber im Rückblick bis 1995 das zweitschlechteste Jahresergebnis. In diesem Zusammenhang kann man zum Vergleich anführen, dass die angeblich „existenzunfähige“ 1. DDSG vor ihrer sozialpartnerschaftlich abgesegneten Versenkung, ganz allein mehr als 3 Mio. Tonnen im Jahr transportiert hat.

Grundlage für eine europäische Verkehrspolitik muss das Überdenken des freien Warenverkehrs sein. Ein freier Warenverkehr kann nicht gleichzeitig die freie Wahl der Verkehrsmittel bedeuten. So ist eine europäische Verkehrspolitik mit den angestrebten Zielen nicht erreichbar.

Unverbindlichkeit ist eine typisch österreichische Eigenschaft. Und in der österreichischen Verkehrspolitik, ist die Nasse Logistik von besonderer Unverbindlichkeit gekennzeichnet. Seit Jahrzehnten werden begleitet von EU-Förderprogrammen Projekte entworfen und mit Terminen hinterlegt, die nach Ablauf einfach fortgeschrieben werden.
So verwundert es nicht, dass immer wieder in Sonntagsreden die gleichen Forderungen aufgestellt werden. Jüngstes Beispiel ist das Projekt „Danube-Black Sea Gaterway Region“. Auch EU gefördert, steht wieder die Verkehrsentwicklung im Donauraum im Vordergrund.

Das an sich 2019 abgelaufene und erfolglose zwei Mio. teure Projekt, wird einfach mit 500 (!) Absichtserklärungen untererlegt und fortgesetzt. Garantiert ist jedenfalls der Verkehr durch den Tagungstourismus, denn die Liste der Teilnehmer am Projekt ist endlos. Die nächste Fortschreibung ist für 2022 schon eingepreist.

Österreichs Verkehrspolitik ist gesamt betrachtet relativ unbedeutend. Aber Österreich hat eine maßgebliche und gleichberechtigte Stimme in der europäischen Verkehrspolitik und diese ist wahrzunehmen. Typisch für Österreich ist auch, dass die Binnenschifffahrtspolitik seit der Ertränkung der 1. DDSG von Beamten gesteuert wird; was auch die Abwesenheit der jeweiligen Minister zum Thema erklärt. Auch die neue Ministerin überlässt Fragen zur Binnenschifffahrt lieber den zuständigen Beamten. Beamte agieren aber bekanntlich zwangsläufig im „Kastl“. D.h., ressortübergreifendes Denken oder gar Handeln widerspricht dem jeweiligen Zuständigkeitsbereich und gilt als Todsünde. Wer sich zu weit aus seinem Thema vorwagt, macht sich schnell verdächtig.

Ungeachtet aller Versprechungen der neuen Verkehrsministerin – „Gemeinsam schaffen wir jede Krise“, steht in den Fenstern ihres Hauses, ließen jüngst die Sozialpartner mit einer Forderung an die Verkehrspolitik für die Wasserstraße aufhorchen: „…Schaffung einer europäischen Behörde mit Exekutivgewalt zur Durchsetzung“. Also quasi einen Neptun als Wasserstraßenkommissar, der mit dem Dreizack die Binnenschifffahrtspolitik beherrscht. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch die Sozialpartner der Meinung sind, dass der Verkehrsminister, respektive die Beamten, die anstehenden Herausforderungen nicht schaffen können.

Mehr noch: Die Sozialpartner trauen offensichtlich auch der Europäischen Verkehrsministerkonferenz einen durchschlagenden Erfolg in der Nassen Logistik nicht zu. Eine „europäische Behörde mit Exekutivgewalt“ nur für die Binnenschifffahrt wäre aber vermutlich nicht mehr als ein Umlegen der österreichischen Beamtenpolitik auf die höchste Ebene der EU. Einen Vorteil hätte der allzeit gegenwärtige Neptun mit dem Dreizack auf den Wasserstraßen: Ein garantierter Unterhaltungswert für Flusskreuzfahrt-Touristen. (PB)

Quelle: LOGISTIK express Journal 3/2020

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