Challenges 2023: Autarkie und Resilienz

Die Covid-Krise ist größtenteils überwunden, der Krieg in der Ukraine leider noch nicht. Doch unabhängig davon stellen Klimaschutzgesetze, Arbeitskräftemangel, Inflation und das Lieferkettengesetz die Logistikbranche vor spannende Herausforderungen. Logistik express hat sich bei Interessensvertretern umgehört, worauf wir uns gefasst machen müssen und wie es weitergeht.

Redaktion: Angelika Gabor.

Für Wolfgang Kubesch, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Logistik Österreich (BVL), sind Autarkie und Resilienz zwei der aktuell wichtigsten Schlagworte für die Unternehmen. „Die letzten beiden Jahre haben gezeigt, wie wichtig Unabhängigkeit wäre, insbesondere bezüglich der Energiethematik und der Produktionsstandorte. Das Differenzieren beim Bezug der Energieträger ist recht gut gelungen, aber wie sieht es beispielsweise bei seltenen Erden aus? Die aktuellen Bezugsquellen liegen fast ausschließlich in China, wo die größten Vorkommen liegen. Zudem muss man sich fragen, ob die Elektrowende nicht neue Abhängigkeiten schafft, die man nicht substituieren kann.“

Einen relevanten Kostenfaktor stellt Resilienz dar: „Das ist mit einer Versicherung vergleichbar, Widerstandsfähigkeit in den Lieferketten kostet Geld – aber nicht liefern zu können wäre im Endeffekt noch teurer. Man muss sich die Frage stellen, ob es in einer arbeitsteiligen Welt noch angebracht ist, seine Produktion an einen einzigen Ort zu konzentrieren – gerade angesichts einschneidender Ereignisse wie beispielsweise Naturkatastrophen. Hier ist dringend Diversifikation nötig“, ist er überzeugt. Die Volatilität des Geschehens lässt den Schluss zu, dass Sicherheiten von früher heute nicht mehr zählen. So liegt etwa die Produktionsstätte der Pharma-Industrie in Indien mitten in einem Erdbebengebiet. Ein aus seiner Sicht extremer Hebel auch bezüglich Autarkie sind das Wiederverwerten von Rohstoffen und die Vermeidung von Abfällen, denn je weniger Material benötigt wird, desto weniger muss beschafft werden.

War for staff

„Der ‚war for talent‘ ist bereits verloren, wir sind inzwischen beim ‚war for staff‘ angelangt“, bringt Kubesch es auf den Punkt. Der Arbeitskräftemangel ist eklatant und in allen Branchen und Gehaltsklassen angelangt. Auch hier kann Recycling Abhilfe schaffen, denn fürs Recycling sind weniger Humanressourcen nötig als für Neuproduktionen. „Aber auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz und Automatisierung helfen mit, dem Personalmangel zu begegnen. Durch KI-Systeme lassen sich manche Berufsfelder in der Logistik, die in den letzten Jahren an Attraktivität eingebüßt haben, wieder interessanter gestalten“, hofft er.

Generell gibt es immer weniger versierte Kräfte, die volle 40 Stunden pro Woche arbeiten wollen. Neue Arbeitsformen und Modelle nehmen zu. „Immer mehr Menschen wollen nur 75 Prozent arbeiten, aber erwarten die gleiche Entlohnung wie bei 100 % Leistung. Gerade Jugendliche bewerten Arbeit und Leistung heutzutage anders als noch vor 20 Jahren.“ Ein weiteres Problem ist der Wissensverlust, wenn durch raschen Wechsel von Arbeitskräften oder Homeoffice-Konzepte Wissen nicht mehr weitergegeben wird.

Klimaneutralität

Bezüglich der Klimadebatte wünscht sich die BVL eine neutrale Diskussion. Damit dem Klima letztendlich wirklich geholfen wird, ist eine europäische oder besser globale Lösung nötig, und zwar so schnell wie möglich. Kubesch: „Bei Luftfahrt gibt es bereits einheitliche Systeme, aber wenn es dann pro Land unterschiedliche Schwerpunkte bei technologischen Lösungen gibt, wird grenzüberschreitender Güterverkehr schwierig.“ Nachhaltiger Klimaschutz gelingt nur mit dauerhaft zukunftsträchtigen Energielösungen. „Wir müssen Lösungen finden, die Bestand haben und auch auf die vorhandene Infrastruktur aufbauen, denn das Bauen komplett neuer Infrastruktur verursacht überproportional viel CO2 und benötigt einen massiven Ressourcen-Einsatz“, stellt Kubesch fest.

Eines ist klar, es muss dringend eine Entscheidung für die Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene fallen, um Investitionssicherheit zu schaffen. Kubesch: „Das Ziel ist klar, aber der Weg und die Mittel müssen erst definiert werden. Solange es hier Diskrepanzen gibt, wird es kein Investment geben. Jeder Verringerung von Abhängigkeiten ist ein Fortschritt, denn man kann nie wissen, wie sich Beziehungen zwischen Gesellschaften entwickeln.“ Für die Überbrückungszeit des Gasausstiegs lässt sich die Verwendung fossiler Energieträger nicht vermeiden. Das Überwinden starrer Strukturen in Europa muss rasch gehen. (AG)

Quelle: LOGISTIK express Journal 1/2023

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