Corona lässt Regionalität und Bio im Lebensmittelhandel boomen

Auch wenn viele Österreicher im Jahr 2020 den Gürtel enger schnallen mussten, konnte im Lebensmittelhandel ein signifikantes Umsatzplus bei Biomarken und nachhaltigen Produkten beobachtet werden. Spitzenreiter und neuer Marktführer in Österreich: die SPAR Warenhandels AG.

Redaktion: Angelika Gabor.

Im Gespräch mit Handelsverband-Geschäftsführer Ing. Mag. Rainer Will legte Gerhard Drexel anschaulich dar, wo die Gründe für den wirtschaftlichen Erfolg liegen, wie es weitergehen wird und wo die größten Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft liegen.

Seit 1990 ist Drexel im Vorstand von Spar, seit 2001 in der Funktion des Vorstandsvorsitzenden der Spar Warenhandels AG. Als solcher kennt er das Unternehmen natürlich wie seine Westentasche und ist an der Unternehmensstrategie sowie dem Erfolg maßgeblich mitbeteiligt. Anfang 2020, also noch vor dem Ausbruch der Pandemie, schnappte sich Spar die Marktführerschaft im österreichischen Lebensmittelhandel vom Mitbewerber REWE. Im Herbst betrug der Marktanteil laut jüngster Brancheninfo 34,2 Prozent, im Dezember sogar 37,1 Prozent – ein Plus im Vergleich zu Dezember 2019 um stolze 3,1 Prozentpunkte. Offensichtlich fanden im letzten Quartal die Kunden wieder zur ihrer zu Beginn der Corona-Krise schwächelnden Vorliebe für Frische in Bedienung zurück – der Trend zu SB ohne Kontakt zu Mitarbeitern ist gebremst. „Als im März 2020 – es war ein Freitag der 13. – der Lockdown ab dem darauffolgenden Montag verkündet wurde, hatten wir schon einen Informationsvorsprung durch unsere Tochter in Italien. Für uns war es sehr wichtig, die Anatomie der Coronakrise genau zu analysieren, um entsprechende Maßnahmen zu setzen“, erzählt Drexel.

Doppelstrategie als Schlüssel zum Erfolg.
Drexel ist überzeugt davon, dass sein Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgehen wird – der Marktanteil ist ein deutliches Indiz dafür, dass er Recht hat: „Der erste Teil unserer gut durchdachten Corona-Doppel-Strategie nahm Anlehnung an Hans Domizlaffs Bestseller über die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens.“ Mit diesem Ziel im Blick wurden etliche Maßnahmen umgesetzt: die Verteilung von Gratis-Mundnasenschutz-Masken, die Willkommensgeste bei der Verteilung durch die Mitarbeiter und auch das Hygienemanagement sorgten dafür, dass die Kunden sich sicher fühlen konnten – und offensichtlich gerne zum Einkaufen kamen. „Parallel dazu haben wir nie aufgehört, an den Erfolgsfaktoren der Zukunft weiterzuarbeiten. Dazu zählen beispielsweise die offensive Marktbearbeitung und die konsequente Weiterentwicklung unserer Eigenmarken.“ Besonders die günstige Eigenmarke S-Budget wurde stark erweitert: „Durch die aktuelle Lage – Rekordarbeitslosigkeit und sehr viele Menschen in Kurzarbeit – sind viele Menschen gezwungen, günstig einzukaufen. Mit S-Budget wollen wir da ein breites Angebot schaffen.“ Schließlich gaben in Umfragen 30 Prozent der Österreicher an, weniger für Lebensmittel auszugeben; 14 Prozent erklärten, nur noch lebensnotwendige Güter zu kaufen. Im Jahr 2020 kamen bei Spar 280 neue Eigenmarkenprodukte zum Sortiment, verteilt über alle Preissegmente. Zudem wurden die Expansionspolitik und die Ladenerneuerung konsequent weitergeführt.

Regional und lokal.
Gerade im Lockdown zeigte sich, dass die Kunden Wert auf österreichische Hersteller legen – je regionaler, desto besser. „Wir haben die Kooperation mit österreichischen Lebensmittelproduzenten, Brauereien usw. forciert. Im Fokus lagen dabei insbesondere lokale Hersteller, die aufgrund ihrer Kapazitäten nur einige wenige Filialen mit ihren Produkten beliefern können“, führt Drexel aus. Aktuell hat Spar rund 7.000 lokale Biobauern und Produzenten als Partner.

Bei Molkereiprodukten beträgt der Anteil österreichischer Produkte 95 Prozent, bei Backwaren 90 Prozent – Tendenz steigend. Aktuell beliefern etwa 500 lokale Bäcker naheliegende Filialen. Drexel: „Wir sind quasi der Erfinder der Regionalisierung im Lebensmittelhandel. Natürlich haben wir auch internationale Markenartikel – ein Whiskey kommt eher aus Irland.“ Spar hilft seinen Partnern auf Wunsch auch beim Ausbau ihrer Strukturen und Kapazitäten, um größere Gebiete abdecken zu können.

Boom bei Bio und Nachhaltigkeit.
Auch wenn es ob der finanziell angespannten Situation paradox erscheint, greifen die Österreicher vermehrt zu Bioprodukten. Im Zeitraum vom 1.1.2020 bis zum 31.8. 2020 stieg der Umsatz der Spar Natur pur Produkte um 26 Prozent. „Je unsicherer das Umfeld für die Konsumenten ist, umso sicherer wollen sie sich ernähren“, kennt Drexel den Grund. Spar verzichtet bei über 5.000 Eigenmarkenprodukten auf Glyphosat, Palmöl und Gentechnik. Insgesamt kauften die Österreicher im 1. Halbjahr laut Statista GmbH rund 96.723 Tonnen Bioprodukte – also aus ökologischer Landwirtschaft ohne synthetische Pflanzenschutz- und Düngemittel – im Lebensmitteleinzelhandel. Im gesamten Jahr 2010 wurden vergleichsweise 111.912 Tonnen Bio-Lebensmittel verkauft. Der rollierenden Agrarmarktanalyse der Agrarmarkt Austria Marketing GesmbH (RollAMA) zufolge sind vor allem die Milch-, Joghurt- und Eiersortimente in Bioqualität besonders gefragt. Insgesamt lag der Anteil der umgesetzten Frischeprodukte im Lebensmittelhandel in Bio-Qualität im Jahr 2019 bei knapp 10 Prozent, im Juni 2020 erstmals über 10 Prozent. Aktuell sind laut Verein Bio Austria rund 22 Prozent der heimischen landwirtschaftlichen Betriebe nach den Kriterien der Bio-Landwirtschaft zertifiziert – das entspricht 24.225 Höfen bzw. rund 24 Prozent der österreichischen Agrarflächen, das ist EU-weiter Spitzenwert.

Mit Hilfe eines eigenen wissenschaftlichen.
Ärztebeirates mit 6 bis 7 ständigen Mitgliedern arbeitet Spar seit 15 Jahren an der Weiterentwicklung seiner Produkte. Das Ziel: gesunde Rezepturen. Der Gesundheitsbeirat legt dabei nicht nur fest, welche Inhaltsstoffe wünschenswert sind, sondern auch, was weggelassen wird. Bekanntes Beispiel hierfür ist die Reduktion von Zucker. Oder eben Bio-Qualität. „Wir haben uns schon früh dazu bekannt, dass wir für ein flächendeckendes Glyphosatverbot in der Landwirtschaft eintreten. Die österreichische Bundesregierung muss endlich Courage zeigen und das nationale Verbot – das schon zwei Mal im Parlament beschlossen wurde – auch endlich zum Gesetz machen“, meint Drexel energisch. Leider verabsäumten es die Regierungsparteien in der Nationalratssitzung vom 20. Jänner 2021, das zuvor angekündigte Teilverbot für das Pflanzengift einzubringen. Glyphosat ist unter anderem im Unkrautvernichter Roundup enthalten, dessen Hersteller Monsanto nun zur deutschen Bayer AG gehört. Mitte 2020 schloss Bayer einen Kompromiss zum Abschluss von etwa drei Viertel der aktuell gerichtsanhängigen Roundup-Verfahren: satte 9,1 bis 9,8 Milliarden Euro sollen die Fälle aus der Welt schaffen. Weniger giftig wird der Stoff dadurch nicht.

Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie.
Schon längst haben wir uns in Österreich daran gewöhnt, dass beim Kauf von abgepackten Fleisch- und Milchprodukten auf der Packung steht, wo das gute Stück herkommt und verarbeitet wurde. Seit April 2015 ist die EU-weite Fleisch-Kennzeichnung aller Fleischsorten verpflichtend. Allerdings betrifft das nicht fertig verarbeitete Waren. Wer im Gasthaus ein Wiener Schnitzel genießt, wird nur im Ausnahmefall und auf Nachfrage erfahren, wo das Kälbchen vor der Schlachtung herumhopsen durfte. Unfair, findet Drexel: „Warum gibt es keine Kennzeichnungspflicht in Gastronomie, Kantinen und öffentlichen Bereichen? Eine Kennzeichnung von Fleisch, Eiern und Milchprodukten in diesen Bereichen würde die Gäste zufriedener machen.“ Da dies aber die Kosten für die Gastronomen erhöhen würde, hat er einen Vorschlag zur Unterstützung der krisengebeutelten Branche parat: „Aktuell gibt es eine Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie auf 5 Prozent. Ich würde vorschlagen, diese Senkung permanent zu belassen, wenn im Gegenzug dafür eine Herkunftskennzeichnung stattfindet.“ Spar bietet seit 25 Jahren Rind-, Kalb- und Schweinefleisch zu 100 % aus Österreich an, ausgezeichnet mit dem AMA Gütesiegel. Auch Eier und Milch sind seit Jahren ausschließlich von heimischen Produzenten.

Hemmschuh Pflastikpfand?
Aktuell werden in Österreich durchschnittlich sieben von zehn PET-Flaschen fachgerecht recycelt – wobei Wien einem Sammelanteil von nur einem Drittel aller Plastikflaschen das unrühmliche Schlusslicht darstellt. Um die Vorgaben der Europäischen zu erfüllen (und Strafen zu umgehen), muss die Rücklaufquote deutlich gesteigert werden. Als probates Mittel wird die Einführung eines Einwegpfandsystems beworben: Ende Jänner präsentierte die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler in einer Wiener Lidl-Filiale einen entsprechenden Pfandautomaten. Handelsverband und Spar-Vorstand können dieser Idee hingegen gar nichts abgewinnen. „Die Politik sollte uns nicht grundlos das Leben erschweren. Ein Zwangspfand auf Einwegplastik ist populistisch und der falsche Weg. Wir Nahversorger würden zur Mülldeponie verkommen, vom Hygieneproblem mit Restflüssigkeiten ganz zu schweigen. Es gibt bereits tolle Sammelsyteme, die müssen lediglich ausgeweitet werden“, wird Drexel deutlich. Auch der Handelsverband ist vehement dagegen. Will: „Angesichts der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg ist es unverantwortlich, in ganz Österreich flächendeckend ein Pfandsystem einzuführen. Allein die Anschaffungskosten eines Leergutautomaten liegen zwischen 25.000 und 50.000 Euro. Viele kleine Betriebe können sich das nicht leisten.“ Statt dessen plädiert Will für die Umsetzung des von der WKÖ ausgearbeiteten 10-PUNKTE-PLANs zur Erreichung der EU-Abfallquoten mit einer alltagstauglichen Kreislaufwirtschaft – zu einem wesentlich günstigeren Preis.

Mercosur – Fluch oder Segen?
Geht es nach Drexel, ist der von der EU angepeilte Mercosur-Handelspakt (eine Freihandelszone mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) eindeutig ein Fluch. Wie viele andere fürchtet auch er, dass billiges Rindfleisch im Austausch gegen deutsche Automobile den österreichischen Markt überschwemmen könnte. Neben der billigen Produktion in Massentierhaltung ist das Rindfleisch auch fürs Klima ein Drama: „In Brasilien erzeugtes Rindfleisch verursacht in der Produktion 80 kg CO2, in Europa hingegen entstehen nur 22 kg CO2“, so Drexel, „Wir haben uns schon im Juli 2019 deutlich gegen diesen Handelspakt ausgesprochen und diese Entscheidung auch klar begründet. Es darf nicht sein, dass Deutschland zollfrei Autos liefern darf und wir im Gegenzug hormonbelastetes Rindfleisch zu Schleuderpreisen importieren müssen.“ Bei der Aufzucht der Rinder in Brasilien kommen Wachstumshormone zum Einsatz, die in Europa verboten sind – ebenso wie mit Pestiziden belastetes Futter. Dafür kostet es nur etwa die Hälfte von österreichischem Fleisch. Im Vertrag ist vorgesehen, dass jährlich 99.000 Tonnen Rindfleisch, 180.000 Tonnen Zucker und 100.000 Tonnen Geflügel zollfrei aus Südamerika importiert werden dürfen – in der Hoffnung, dass Zölle auf die Exporte von Autos und anderen Industriegütern wegfallen. Doch während in Europa die Mindeststandards hinsichtlich Umweltschutz, Tierschutz und Klima ständig strenger werden, wird beim importierten Fleisch darauf verzichtet. Drexel: „Das bedeutet den Bankrott für unsere Rinderbauern.“

Aktuell sind die Verhandlungen allerdings ins Stocken geraten – sehr zum Missfallen Portugals, das aktuell den Vorsitz des EU-Rates inne hat und die Unterzeichnung des Abkommens zum zentralen handelspolitischen Ziel seiner Präsidentschaft erklärt hat. Die rasante Abholzung des Amazonas-Regenwaldes bereitet insbesondere angesichts des voranschreitenden Klimawandels immer mehr Menschen Sorgen. Als größter Handelspartner und Investor in den vier Mercosur-Ländern mit 260 Millionen Konsumenten birgt der Deal großes Potential. Allein im Jahr 2019 exportierte die EU Waren im Wert von 41 Milliarden Euro in diese Staaten. Natürlich kann sich auch die EU-Kommission nicht gänzlich vor der Kritik verschließen. Um ein Aufschnüren des seit 2019 im Wesentlichen ausverhandelten Paktes, der nur auf die Ratifizierung wartet, zu verhindern, ist die Formulierung von Protokollzusatzerklärungen im Gespräch.

In diesen Erklärungen soll die Verbindlichkeit der Nachhaltigkeit – Stichwort illegale Brandrodungen – festgeschrieben werden. „Dieser ‚Beipackzettel‘ ist nichts wert. Sobald der Vertrag unterzeichnet ist, wird munter weiter abgeholzt, und Bolsonaro (Präsident Brasiliens, Anm.) macht, was er will“, ärgert sich Drexel. Denn auch wenn im bisherigen Vertragsentwurf ein Bekenntnis zum Übereinkommen der Klimakonferenz von Paris enthalten ist – es sind keinerlei Sanktionen bei Verstößen festgelegt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. In seiner derzeitigen Form steht der Mercosur-Deal jedenfalls im klaren Widerspruch zum „Green Deal“ der EU, wie die unabhängige Studie eines internationalen Forscher-Teams unter Beteiligung der HU Berlin, der Senckenberg Gesellschaft und des UFZ unter Leitung der Universität Oxford „The EU-Mercosur Agreement fails to meet the three tenets of sustainable trade: inclusion, transparency & enforcement;“ zeigt. Die Art und Weise, wie Rindfleisch und Soja-Viehfutter produziert werden sowie die damit einhergehende Flächengewinnung durch Rodung des Regenwaldes ohne Rücksicht auf indigene Bevölkerungsgruppen macht die Einhaltung der drei Säulen des EU-Nachhaltigkeitskonzeptes unmöglich. Zusammengefasst wird der Freihandelspakt die Zerstörung des Amazonasgebietes noch beschleunigen, denn schon jetzt wird in der Anbauregion für europäischen Konsum alle drei Minuten die Fläche eines Fußballfeldes gerodet. AG)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 1/2021

 

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