Stresstest für Handelsfinanzierungen

Digitale Zahlungsabwicklung und dynamisches Kreditmanagement können KMU-Lieferanten und Sublieferanten durch eine schnellere Bezahlung von Rechnungen in der Cov-19-Krise finanziell stabilisieren.

Beitrag: Lars Krüger.

Das Coronavirus hat die Weltwirtschaft fest im Griff und schickt eine Schockwelle nach der anderen durch die Supply-Chain-Systeme. Viele Großkonzerne konzentrieren sich jetzt auf ihr Cashflow-Management und zögern Zahlungen, wo immer möglich, hinaus, um liquide zu bleiben. Das Nachsehen haben ihre Dienstleister, Lieferanten und Unterlieferanten. In Politik und Wirtschaft wächst die Sorge, dass viele KMU infolge dieser Liquiditätskrise zusammenbrechen könnten. Es wird an eine nur punktuell vorhandene Solidarität appelliert. Industrie- und Handelsgruppen müssen reagieren, wenn sie ihre Lieferquellen erhalten und mittelfristig mehr Stabilität in ihre Supply-Chain-Systeme bringen wollen. Es ist ein feiner Balanceakt.

Während Großunternehmen Zugriff auf verschiedene Handelsfinanzierungsmittel haben, um wirtschaftliche Turbulenzen auszureiten, stehen diese KMU häufig nicht zur Verfügung. Der traditionell risikoaverse Bankensektor lehnt laut Asian Development Bank (ADB) 45% aller KMU-Anträge auf Handelsfinanzierung ab, aber nur 17,5% der Anträge von multinationalen Unternehmen. Und bei den KMU sind es die Grösseren die profitieren. Infolgedessen besteht ein echtes Risiko, dass die kleineren Konkurs anmelden müssen, wenn sie von ihren Kunden zu spät bezahlt werden oder auf keine günstigen Finanzmittel zugreifen können, um ihre Cashflow-Lücken zu schließen.

Cash ist king.
In dieser angespannten Situation und angesichts niedriger Zinsen auf Bankguthaben möchte man glauben, dass Frühzahlermodelle (Dynamic Discounting) im Aufwind sind. Rund 80% aller Lieferanten sind bereit, bei frühzeitigen Zahlungen Rabatte zu gewähren. Aber viele Großunternehmen sind nicht interessiert oder IT-technisch gar nicht in der Lage, ihren Lieferanten und Unterlieferanten ihr überschüssiges Kapital in Form von Frühzahlungen zur Verfügung zu stellen.

Aus Sicht der Lieferanten müssten solche Finanzierungslösungen unbürokratisch und transparent und nicht nur von Vorteil für den Großabnehmer sein – also eine echte Win-Win-Situation schaffen. Bisher erfüllen sie häufig allerdings nicht diese Erwartungen. Die meisten der von Großfirmen genutzten Bezahlplattformen und Dynamic Discounting Modelle sind für KMU wenig attraktiv – zu bürokratisch, insbesondere, wenn die Firmen sich für verschiedene Kunden bei verschiedenen Plattformen registrieren müssen.

Schnellere Digitalisierung.
Es ist daher dringend notwendig einen neuen Ansatz zu suchen, um Finanzmittel allen Stufen der Lieferkette – von der Quelle bis zur Senke – zur Verfügung zu stellen, insbesondere auch nachrangigen Teile- und Komponentenlieferanten. Ein erster Schritt wäre die Digitalisierung der Handelsbeziehungen und der Rechnungsabwicklung (e-Invoicing). Dadurch werden alle Transaktionen zwischen Käufer und Verkäufer vollständig transparent. Dies senkt für Käufer und Banken das Finanzierungsrisiko.

Tradeshift, Betreiber einer offenen Business-Commerce-Plattform, testet derzeit neue Anreizmodelle, um die Akzeptanz elektronischer Rechnungen und digitaler Diskontverfahren bei Lieferanten und Sublieferanten massiv zu steigern. Die Finanzierung langjähriger Lieferanten soll zukünftig unabhängig einer überprüften Rechnung innerhalb weniger Tage automatisiert erfolgen.

In immer mehr Ländern werden e-Rechnungen verschickt oder zumindest elektronische Rechnungsdaten als Kopie von Papier-Handelsrechnungen zwischen Firmen ausgetauscht und verarbeitet. Aber in einer Vielzahl Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika sind elektronische B2B-Rechnungen noch nicht erlaubt oder nur mit expliziter Genehmigung der Steuerbehörden. In einigen asiatischen Staaten ist dagegen das e-Invoicing schon hoch entwickelt, z.B. in Singapur, Taiwan, Hongkong und Südkorea. Der Finanzdruck der Cov-19-Krise wird die automatisierte Rechnungserstellung und -bearbeitung weltweit beschleunigen und Supply-Chain-Finance-Lösungen hoffentlich Auftrieb geben.

Schwierige Lieferantenwechsel.
Großunternehmen sind meist weder in der Lage, noch willens kurzfristig auf neue Lieferanten umzusteigen. Denn Zulieferer müssen sorgfältig ausgewählt werden, um Produktstandards und Compliance-Richtlinien einzuhalten. Zeitaufwendige und detaillierte Ausschreibungen, Wettbewerbe und Submissionen gehen jedem neuen Kooperationsvertrag voraus. Es ist daher in im ureigenen Interesse der Auftraggeber, dass ihre Lieferanten im Verlauf der Coronavirus-Krise nicht Pleite gehen.

B2B-Einkaufplattformen sind zwar im Aufwind, werden aber eher für Spoteinkäufe, regionale oder industriespezifische (Chemieplattform) Einkäufe genutzt, denn als Fundament für langfristige interkontinentale Lieferantenbeziehungen. Weltweit ist Alibaba die größte B2B-Einkaufsplattform. Aber auch hier sind Lieferanten finanziell gefährdet, so dass ihnen derzeit vom Konzern Überbrückungskredite angeboten werden.

Dejà vue.
Niemand hat das Ausmaß, die Geschwindigkeit, den Schweregrad oder den Zeitpunkt des Coronavirus-Ausbruchs vorhersagen können. Doch müssten Unternehmen auf die Folgen von Supply-Chain-Störungen nicht besser vorbereitet sein – auch in finanzieller Hinsicht? Jedes Jahr gibt es mannigfaltige Auslöser für Disruptionen: Stürme, Überschwemmungen, Kriege, Handelskriege, Streiks (man denke an Hongkong und Frankreich), Krankheiten (Rinderwahn, Ebola, Sars…) usw. Jetzt kommt noch ein massiver Nachfrageeinbruch in fast allen Wirtschaftsbereichen hinzu. Und immer sind es KMU-Zulieferer und Sublieferanten, die ins Straucheln geraten.  (LK)

Quelle: LOGISTIK express Journal 2/2020

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